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Alles ist ein Gefühl

Im Supermarkt in Grado, Italien, suche ich nach Sonnencreme. Ich finde sie nicht. Dafür maritime Dekogegenstände. Ich bin begeistert von Italien. Im Supermarkt finde ich zwei Leuchtobjekte, welche die Form von Seeigelgehäusen haben und Holzfische. Damit schmücke ich meinen Olivenbaum zuhause. Er wird sich bestimmt freuen. Die Sonnencreme finde ich schließlich auch noch und mache mich auf den Rückweg zum Hotel. Ich wähle nun einen anderen Weg. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, Neues zu entdecken. Ich gehe entspannt eine Straße entlang und fühle mich gut. Der Oleander blüht in verschiedensten Farben und feiner Jasminduft liegt in der Luft. Ich spüre, wie das Kleid, das ich trage, sanft meinen Körper berührt. Ich mag das. Italien lehrte mich, mehr Kleider und Röcke zu tragen und ich stelle fest, dass ich mich sehr wohl damit fühle. Ich fange an über Italien nachzudenken. Zärtlichkeit fällt mir ein. Sinnlichkeit, Sanftheit und Romantik kommen hinzu. Die Worte meiner Freundin vom Vortag fallen mir ein: „Alles ist ein Gefühl.“ Vielleicht hat sie recht. Vielleicht ist das Leben tatsächlich eine Aneinanderreihung von Gefühlen. Und je nachdem, ob die positiven oder negativen Gefühle dominieren, erleben wir etwas als positiv oder negativ. Mit meiner Freundin sprach ich gestern auch über die Umwandlung von Gefühlen in Worte. Ich sagte ihr, ich könne nicht von Gefühlen schreiben, welche ich nicht erlebe. Ich meine, irgendwie könnte ich sie vielleicht schon beschreiben, aber rauskommen würde irgendetwas und das ist mir zu wenig. Manchmal komme ich mir vor wie eine Schauspielerin, die vor dem Schreiben in die Rolle schlüpfen muss und danach wieder raus. Ich kann also Gefühle in mir hervorrufen und nach dem Schreiben wieder ablegen. An Marcello Mastroianni muss ich manchmal denken. In einem Interview erzählte seine Tochter Chiara, dass er sofort aus seinen Rollen schlüpfen konnte. Ich kann es nicht. Zumindest nicht sofort.

Am Abend treffen wir uns zum Essen in einem Restaurant etwas außerhalb der Stadt. Ich beschließe das Fahrrad zu nehmen und fahre zeitig los, da ich noch entlang der Strandpromenade fahren möchte. Beim Hotel kann man sich Retrofahrräder mit Körben ausleihen. Sie versetzen mich in eine bestimmte Stimmung, in ein schönes Gefühl. Ich fahre entlang der Promenade. Es ist ein lauer Sommerabend. Das Meer zu meiner rechten Seite. Ich mag den Fahrtwind. Ich mag es, den sanften, leichten Wind zu spüren. In meinen Haaren, an meinem Körper. Ein Gefühl von Freiheit und Zufriedenheit steigt in mir hoch. Ich bin glücklich. Seit ein paar Monaten denke ich sehr oft, dass ich glücklich bin und zufrieden und dass es mir nicht besser gehen könnte. Ich erzähle es aber nicht oft. Der Duft von Oleander kitzelt meine Nase. Nicht alle Oleandersorten duften. Ich würde den zarten Vanilleduft dem gelben Oleander zuschreiben, was ich aber eigentlich nicht sicher weiß. Ich trete in die Pedale, um mehr Wind zu spüren, um mehr Freiheit zu spüren, um mich noch mehr zu spüren. Dann plötzlich dieses Gefühl. Es ist neu oder ich habe es schon lange nicht mehr wahrgenommen. Es überrascht mich, denn beinahe war es eben so, als hätte mein Herz einen Schlag ausgelassen. Eine feine, kurze Rhythmusänderung war es, gefolgt von einer sanften alles in Leichtigkeit wandelnde Welle, die vom Brustkorb aus über den Bauchraum meinen Körper durchzog. Ein wundervolles, aufregendes Gefühl. Ich bin überrascht und frage mich, was es war. Ich hoffe, dass mit meinem Herzen alles in Ordnung ist. Ich stelle mir die Frage, ob es am Espresso liegen könnte, den ich am Nachhauseweg vom Strand noch schnell an der Bar trank oder am Aperol-Spritz, den ich am Nachmittag bestellte.

Beim Abendessen im Restaurant taucht dieses Gefühl nun wieder auf, während ich den Gesprächen der anderen lausche. Auf dem Weg zurück zum Hotel mit dem Fahrrad, versuche ich dieses Gefühl nochmal herzustellen. Es gelingt mir nicht.

Am nächsten Morgen taucht dieses Gefühl wieder auf. Wie aus dem Hinterhalt taucht es plötzlich auf und dann ist es wieder weg und ich kann es nicht wiederherstellen. Am Strand versuche ich es mit Espresso. Vielleicht kann mir die Kombination aus Hitze und Koffein, dieses wunderbare Gefühl bescheren. Ich muss nun aber feststellen, dass diese Kombination auch nicht in der Lage ist, dieses Gefühl in mir hervorzurufen. Ich verstehe es nicht. Dachte ich doch jegliches Gefühl in mir erzeugen und auch wieder ablegen zu können.

Am Nachmittag auf der Sonnenliege mit Blick auf das Meer starte ich einen neuen Versuch. Ich weiß, dass Gedanken Gefühle erzeugen können und ich habe nun auch schon eine Idee, wer die Quelle, also der Auslöser für dieses unbeschreiblich schöne, angenehme, aber auch spannende Gefühl sein könnte. Ich denke an die vermeintliche Quelle. Nichts passiert. Kein Gefühl, keine körperliche Reaktion, keine Emotion. Zumindest nicht die, nach der ich suche, von der Gefahr ausgeht, davon abhängig zu werden.

Später beim Strandspaziergang taucht dieses Gefühl spontan wieder auf und mir wird klar, dass dieses Gefühl, speziell ist, besonders, womöglich ein Geschenk. Dieses Gefühl ist nicht auf Wunsch abrufbar, es ist nicht planbar, sondern es passiert.

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