#belotusWRITINGs

Grado I

Es gab eine Zeit, in der man mir sagen wollte, was ich darf und was ich nicht darf. Das mag ich nicht. Ich mag es deswegen nicht, weil ich erwachsen bin und ich mich selbst am besten kenne. Es gab eine Zeit, in der ich das Meer nicht sehen durfte. Ich hatte es zu akzeptieren und ich verrate dir etwas: obwohl es mir verboten war, konnte ich es dennoch sehen, und zwar mit meinem inneren Auge.

Die Verbote und Gebote kamen und gingen. Ich hatte sie gut im Auge. Schließlich war es mir erlaubt das Meer wieder zu sehen aber nicht wie für gewöhnlich in Kroatien, sondern in Italien. Ich musste das Meer sehen und ich hatte nicht viel Zeit. Um das Meer zu sehen, nahm ich es in Kauf an einem Strand zu sein mit sehr vielen Sonnenschirmen und Sonnenliegen. Um das Meer zu sehen, nahm ich es in Kauf nicht mit offenen Augen zu tauchen. Um das Meer zu sehen, nahm ich es in Kauf in einem Hotel einzuchecken. Ich mag keine Hotels. Zu enge, kleine Zimmer. Zu viele Leute an einem Ort. Zu laut im Speisesaal. Ich konnte es noch nie verstehen, warum ich abends in einem Hotel essen sollte, wenn doch da die schönste Zeit am Strand ist. Für gewöhnlich checke ich nur in Städten in Hotels ein und wenn ich das mache, bin ich nur zum Schlafen im Hotel und in der Früh schon wieder weg. Es liegt natürlich nicht an den Hotels, sondern an meiner Einstellung zu Hotels. Dennoch checke ich demnächst zum dritten oder gar vierten Mal im selben Hotel in Grado ein. Zu Pfingsten. Pfingsten bedeutet nun seit ein paar Jahren Grado. Letzte Woche wollte ich das Hotel in Grado stornieren. Ich stellte mir die Frage, warum ich wieder das Hotel gebucht hatte. Eigentlich hätte ich irgendwo hinfahren können. Ich hatte die Wahl und die Welt ist groß. Im Internet sehe ich mir Ferienwohnungen in anderen Ländern an. Sie sind sehr schön. Sehr modern. Sehr hell. Das Wasser ist türkisblau. In Gedanken bin ich schon in einer einsamen Bucht und springe vom Felsen ins glasklare Wasser. Aber eben nur in Gedanken. Scheinbar bin ich noch nicht bereit Grado hinter mir zu lassen. Ich storniere das Hotel nicht und überlege, warum es mich wieder nach Grado zieht. Meine Recherchen für das Buch sind abgeschlossen. Ich weiß nun, wie es sich anfühlt, in einem Hotel einzuchecken. Ich weiß nun, wie es sich anfühlt, den Strand mit vielen anderen zu teilen. Ich weiß nun, wie es sich anfühlt, im Hafen Aperol-Spritz zu trinken dazu Chips zu essen und den Gesprächen der anderen Touristen zu lauschen. Doch irgendwo in Grado habe ich einen Ort gefunden, an dem ich untertauchen kann. Irgendwo in Grado habe ich einen Ort gefunden, den ich mag. Alles, was ich brauche, ist vorhanden. Alle sind freundlich, keiner tritt mir zu nahe. Ich kann auf der Terrasse in der Sonne frühstücken und dabei den Duft der Jasminsträucher einatmen. Ich kann im Garten zwischen den Blumen und Sträuchern Ruhe finden und dabei das Spiel der Vögel und Wolken am Himmel beobachten. Ich kann im Pool untertauchen, alles hinter mir lassen. Das Wasser spüren. Mich spüren. Ich kann mir ein Fahrrad schnappen und entlang des Meeres in die Stadt fahren, dabei den Wind in meinen Haaren und die unendliche Freiheit in mir spüren. In der Stadt kann ich den Menschen zusehen, mich in sie hineinfühlen, versuchen sie zu verstehen.

Hätte man mir nicht gesagt, was ich darf und was ich nicht darf, wäre ich nicht nach Grado gefahren. Dann hätte ich diesen Ort nicht gefunden und nicht kennengelernt, der mir so viel Glück bringt und Freude bereitet.